Noch mehr Langsamkeit

Nachdem ich in meinem Beitrag „Für mehr Langsamkeit“, nämlich genau dafür für mehr Langsamkeit, bewußtes Fotografieren und gegen das Vergessen plädiert habe, lässt mich dieses Thema noch nicht los. Offenbar habe ich es noch nicht zu Ende gedacht und für mich abgeschlossen. Denn es tauchte in Form eines Artikels in einer Zeitschrift auf. Nicht in der Art, in der ich es abgehandelt habe, sondern von der anderen Seite, wenn man so will.

In dem Artikel ging es – knapp zusammengefaßt – darum, Kunst zu genießen. Es ging darum, dass man sich ganz bewußt Zeit nimmt ein Gemälde (z.B. im Museum) zu betrachten. In allen Einzelheiten. Es komplett zu erfahren. Am besten noch ohne jegliche Vorinformationen. Dazu muss man kein Kunstkenner sein. Einfach viele Minuten vor dem Gemälde verbringen, es in allen Details betrachten und wirken lassen. Nicht werten, sondern einfach nur sehen. Sich Gedanken machen und Fragen stellen, vervollständigen die Erfahrung der „Slow Art“. Es gibt inzwischen sogar einen „Slow Art Day“ – wer mehr Informationen dazu möchte, klicke hier (in Englisch).

Aber wie oft nimmt man sich die Zeit ein Gemälde oder ein Bild in allen Einzelheiten zu erfahren und es ganz ausführlich zu betrachten? Warum setzen wir uns nicht vor ein Bild und betrachten es in aller Ruhe mehrere Minuten? Ich denke, das liegt daran, dass wir es nicht mehr gewohnt sind, irgendetwas in Ruhe und mit Bedacht zu machen. Wenn man ständig hetzt (oder gehetzt wird), kann man irgendwann nicht mehr einfach so einen Gang runter schalten. Leider verpaßt man dadurch viel zu oft den eigentlichen Genuß an der Kunst. Etwas, das Freude und Entspannung bringen soll, wird ebenfalls zum Stressfaktor, weil man so viele Ausstellungsstücke wie möglich sehen will. Im Endeffekt hat man dann keines wirklich gesehen. Eine Ausstellung lässt sich wohlmöglich sogar intensiver erfahren, wenn man nicht alle Ausstellungsstücke anschaut, aber dafür ein paar wenige wirklich sieht und betrachtet.

Nun ging es in dem Artikel tatsächlich zwar ausschließlich um Gemälde, aber Fotografie ist ebenfalls eine anerkannte Kunstform (was nicht bedeutet, dass jedes Foto Kunst ist). Und es gibt viele Fotos, die es verdienen, dass ich ihnen länger und damit intensivere Aufmerksamkeit schenke. Und das gilt nicht für die Fotos anderer Fotografen. Das gilt auch und ganz besonders für die eigenen Fotos. Ich spreche aus leidvoller Erfahrung, wenn ich schreibe, dass ich meine Fotos oft viel zu schnell ansehe, bearbeite und archiviere. Und auch wenn ich mich gut an meine Fotos erinnere, so entdecke ich tatsächlich öfter zu einem späteren Zeitpunkt noch Details, die mir zunächst entgangen sind. Und daher die Schlussfolgerung, dass ich doch etwas schnell im Umgang mit meinen Fotos bin. Oder zumindest, könnte ich noch sorgfältiger und bewußter sein. Und das wiederum paßt hervorragend dazu, dass ich den Rotationszyklus meiner Fotos verlangsamen möchte. Das Bewußtsein fängt beim Fotografieren an und geht beim Betrachten und Auswählen weiter. Ich habe allerdings auch bemerkt, dass es einen Unterschied macht, ob ich meine (oder andere) Fotos digital oder auf Papier betrachte. Analog ist intensiver und ich nehme mir mehr Ruhe und Zeit. Ich bin aufmerksamer.

Das Sprengel-Museum in Hannover hat u. a. immer Fotoausstellungen im Programm und so habe ich bei meinem letzten Besuch ganz bewußt die Geschwindigkeit reduziert und lange vor den Fotos gestanden (oder gesessen, wenn es ging). Auf 10 Minuten habe ich es vermutlich nicht gebracht, aber ein paar Minuten waren es. Zunächst fand ich es schwierig dem Drang zum Weitergehen zu unterdrücken. Und ich konnte auch nicht jedes Foto oder Ausstellungsstück lange und bewußt ansehen, aber bei etlichen Fotos ist es mir doch gelungen. Es wurde eine schöne Erfahrung ganz intensiv Fotos und auch Grafiken anzuschauen und viele Details bewußt zu registieren, die ich anderfalls glatt übersehen hätte.

In unserer heutigen ziemlich schnell gewordenen Welt ist Langsamkeit eine echte Herausforderung. Aber es ist eine lohnende Herausforderung. In dem Moment, wo ich mich zur Langsamkeit entschließe, läuft mein Leben tatsächlich langsamer und diese Langsamkeit lässt meine Erfahrungen und Erlebnisse intensiver und echter werden.

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„Du musst nur langsam genug gehen, um immer in der Sonne zu bleiben.

(Der kleine Prinz)

Annett

11 Kommentare zu „Noch mehr Langsamkeit

  1. Ich finde, du hast deine Gedanken sehr schön und anschaulich zum Ausdruck gebracht, liebe Annett – und ich teile sie in weitem Umfang. Ein Bild wird entwertet, wenn es nur Teil einer ganzen Menge von flüchtig aufgenommen Eindrücken ist. Konzentration, verweilen, bewusst wahrnehmen, der unvoreingenommenen Neuierde Raum geben – das ist das „Rezept“ gegen die Überflutung mit oberflächlichen Eindrücken, die einen doch nur unbefriedigt und ratlos zurücklassen.
    Für mein „Foto der Woche“ suche ich mir immer ein Bild aus (ein einziges, das ist manchmal schwer), das mir besonders viel „sagt“. Da ich besser formulieren als fotografieren kann, ist das nicht unbedingt ein fotografisch wertvolles Bild. Für mich ist aber gerade die Wechselwirkung aus Bild + Text sehr inspirierend. Und seit ich das Projekt „Foto der Woche“ betreibe, betrachte ich auch die Welt um mich herum viel aufmerksamer und staune viel öfter über eine Kleinigkeit, die aus der Beliebigkeit des Alltags herausragt.
    Ich bin schon gespannt auf deine weiteren Beiträge und wünsche dir gutes Gelingen !
    Elisabeth

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    1. Vielen Dank für Deinen lieben Kommentar und die Gedanken dadrin. Foto der Woche klingt gut und sorgt bestimmt für etwas mehr Langsamkeit und Bewußtsein. ☺

      Entschuldige, Dein Kommentar war im Spam gelandet, deswegen lese ich ihn jetzt erst. 😯

      LG Annett

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  2. Ich schaff das nicht. Selbst wenn ich es mir hundert mal vornehme, ich bekomm es nicht hin. Der Alltag und die Verpflichtungen haben mich da zu fest im Griff… Aber es ist total hilfreich, immer mal wieder drüber nachzudenken und Erfahrungsberichte zu lesen. Ich habe es mir zu Herzen genommen. Danke!!
    PS Übrignes gilt das bei mir für die Fotografie und das Leben ansich… 😉

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    1. In der heutigen Welt ist es auch echt schwer langsam zu werden, wenn alles um einen herum rast. Aber wenn man sich bemüht, kann es klappen. Anfangs nur selten, aber dann immer öfter. Es ist eine bewußte Entscheidung. Jedes Mal wieder 😉.
      Und ja Du hast völlig recht, das gilt natürlich nicht nur in Bezug auf Fotografie. 😊

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  3. Ich denke auch, dass es um das ganze Leben geht, nicht nur um Fotografie / Kunst. Aber Fotos oder Gemälde sind ein Aufhänger sich bewusst zu machen, welchen Wert Langsamkeit haben kann. Welchen Zugewinn an Lebensqualität es mit sich bringt, wenn wir wie in einer Art inneren Meditation den Alltag bewusst(er) (er)leben, präsent im Moment.

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