Die Fotografie versinkt im Massengrab?

Die NZZ hat diesen Artikel veröffentlicht: Das Ende einer Kunstgattung – Die Fotografie versinkt im Massengrab. Beim ersten Durchlesen war ich irritiert, empört und irgendwie auch beleidigt. Beim zweiten Durchlesen stellte ich fest, dass ich eine Ansicht der Autorin tatsächlich auch teile (aber zu einem anderen Schluß komme als sie). Ich habe mich ja selbst schon darüber ausgelassen, dass es sooooo viele Fotos gibt und es täglich mehr werden. Mehr als wir konsumieren können und wollen. Dieser inflationärer Gebrauch der Fotografie geht natürlich zu Lasten eines jeden einzelnen Fotos. Und darum habe ich mich hier für mehr Langsamkeit bei meinen Fotos ausgesprochen. Für ein bewußteres Anschauen und Konsumieren. Nicht jedes gemachte Foto ist es auch wert gezeigt zu werden. Trotzdem bin ich natürlich nach wie vor von der Fotografie an sich überzeugt. Ich liebe sie. Ich schaue gern Fotos an. Fotos wirken.

Die Autorin des oben verlinkten NZZ-Artikels pauschalisiert meiner Meinung nach zu sehr. Für sie hat die Fotografie als gesamtes Medium und auch als Kunstrichtung ihre Dasein-Berechtigung eingebüßt. Mir wird aber nicht ganz klar, warum sie so rigoros ist. Ja, es ist viel geworden. Ja, es ist super leicht digitale Fotos zu erstellen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das stimmt. Nur mit ihrer Pauschalisierung nimmt sie jeden Einzelnen aus der Verantwortung. Denn es liegt an uns wie wir mit dieser digitalen Flut umgehen. Das Medium zu verdammen macht da wenig Sinn.

Zudem finde ich, dass durchaus eine Unterscheidung angebracht ist, wer wie und warum fotografiert. Es gibt wunderbare sorgfältig komponierte und erstellte Fotografien und dann gibt es die flüchtigen, unüberlegten und mitunter auch unansehnlichen „Schnappschüsse“, die – wenn überhaupt – nur für den Fotografierten Wert haben oder zu medialen Selbstinszenierung dienen.

Des Weiteren bemängelt sie die fehlende Authenzität der Fotografie. Bildmanipulationen oder -verbesserungen gab es – wie wir wissen – auch bereits zu analogen Zeiten. Das ist keine Erfindung aus digitalen Zeiten. Während die Autorin das Foto als „leeren Spiegel“ empfindet, meint sie, nur die Malerei könne die „Vielschichtigkeit der Wirklichkeit erfassen“. Wie kommt sie auf die Idee, dass Maler die Wirklichkeit ohne eigene Interpretation darstellen? Egal ob Fotograf oder Maler jeder Künstler lässt Teile von sich, seiner Stimmung und seiner Weltanschauung in das jeweilige Werk einfließen. Es gibt keine absolute Wahrheit – weder in der Kunst, noch generell im Leben. Zudem stellt jedes Kunstwerk immer nur einen kleinen Ausschnitt des großen Ganzen dar – ein Ausschnitt, den der Künstler bestimmt.  Wenn zwei Künstler das gleiche Motiv zur gleichen Zeit darstellen, so sind es doch zwei unterschiedliche Bilder. Jeder sieht die Welt ebend anders und die technische Umsetzung ist auch bei jedem anders. So etwas wie absolute Wahrheit zu erwaten oder gar zu verlangen, finde ich fast schon vermessen.

Ich musste den Artikel ein paar Mal lesen, um ihn als Diskussionsgrundlage schätzen zu können. Obwohl die Autorin ein negatives und pessimistisches Bild von der Fotografie zeichnet, lese ich etwas anderes für mich heraus. Fotografie lebt mehr denn je, weil es nämlich leichter denn je ist gute Fotos zu machen. Fotografie ist für viele wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Und jeder hat die Selbstbestimmung zu entscheiden, ob er ein Foto zeigen möchte oder nicht. Jeder hat ebenso die Verantwortung darauf zu achten keine Persönlichkeits- und Urheberrecht zu verletzen. Die Fotografie versinkt nicht im Massengrab. Nur müssen wir unseren Umgang mit ihr neu sortieren und Wege finden, um mit dem digitalen Bildertsunamie umzugehen um nicht darin unterzugehen.

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Annett

18 Kommentare zu „Die Fotografie versinkt im Massengrab?

  1. Sehr gute Replik, danke! Dieser „Massengrab“-Rundumschlag mag als Denkanstoss wertvoll sein, da die enorme, nicht zu bewältigende Fotoflut ja Fakt ist, aber die Schlussfolgerungen, insbesondere was das Verhältnis von Malerei und Fotografie betrifft, sind nicht nur grob vereinfachend sondern schlicht falsch. Man könnte nämlich mit Fug und Recht auch viele „Malereien“ als untauglich, „die Vielschichtigkeit der Wirklichkeit“ zu erfassen, klassifizieren. Ich habe diese ganzen Pauschalisierungen ziemlich satt. Und davon lebt dieser Beitrag leider statt sich wirklich kritisch mit dem ganzen Spektrum der Fotografie vom Massenphänomen bis hin zur Fotokunst, die die Vielschichtigkeit der Wirklichkeit noch einmal auf ganz andere und immer wieder neue Art zum Ausdruck bringen kann, auseinanderzusetzen.

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  2. Egal wo du heute bist, fotografiert wird ohne Ende ! 80 % der Menschen die ich so beobachte nehmen schon gar keinen Foto mehr zur Hand sondern das Iphone oder Smartphone macht es möglich ! Man will ja sofort ein Foto den „lieben“ senden und damit zeigen „hallo hier bin ich gerade “ ! Egal wo auf der Welt man sich gerade aufhält, ein Foto muss sofort gesendet werden. Dies ist für mich ein „Massengrab“ der Fotografie ! Ich bin sicherlich kein Fotokünstler aber gebe mir meiner Meinung nach viel Mühe mit den Motiven. Hier überlege ich schon was ich fotografiere und meinen Geschmack einfach trifft. Jeder hat so seine Geschmacksrichtung und wenn ich 30 Fotos mache bleiben vielleicht 10 nachher übrig die ich dann aber sehr gerne anschaue, auch als Erinnerung. LG Manni

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  3. oh ja, wie wahr! ich denke, man darf/kann/soll vielleicht selektiver werden, in dem was man zeigt. ebenso in dem, was man konsumiert. aber bilder haben bedeutung, sie inspirieren und wirken, wie du sagst. manchmal nur für einen selbst, manchmal auch für andere. wir können zeigen, soviel wir wollen und jeder unserer leser hat das recht zu entscheiden, wieviel er oder so sehen möchte. und wenn die bilder wirken, dann werden sie auch nicht im massengrab verschwinden.

    vielleicht sollte man sorgfältiger wählen, was man zeigt – aber der bezug zu fotos verändert sich nunmal auch über die zeit. das habe ich grade gesehen, als ich mein archiv für mein portfolio durchsucht habe. es sind weniger fotos, die bleiben als die, die man einmal gezeigt hat. aber jedes einzelne ist soviel mehr als einfach nur die nüchterne dokumentation eines augenblicks.

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    1. Schönes Fazit! Ja, man muss durchaus kritisch sein, das sollte aber auch jeder für sich entscheiden dürfen. Die Autorin verallgemeinert allerdings total und wird dadurch völlig unkritisch. 😯

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  4. Der Titel des Artikels ist sicher reißerisch, aber im Grunde hat sie leider Recht. Es geht nicht um Fotografie als Vorgang sondern um die Relevanz. Fotografie hat seit ihrer Erfindung um ihren Platz unter den bildenden Künsten gerungen. Das Problem der Fotografie ist auch gleichzeitig ihr großer Vorteil: sie ist vergleichsweise einfach zu betreiben. Und das sogar noch zu Analogzeiten. Heute kann so ziemlich jeder zu fast jeder Zeit fotografieren, und jedes Foto kostet fast nichts. Die Menschheit produziert dadurch so unfassbar viele Bilder pro Sekunde, die praktisch keine Relevanz haben. Sie werden in Timelines geteilt und tauchen dort nur kurzzeitig auf, und verschwinden dann für immer. Und was sind das für Bilder? Meistens sind es Angebereien. Ich war an einem schönen Ort, ich habe das gegessen usw. Und selbst der Großteil der „ernsthafteren“ Fotografen produziert redundanten und belanglosen Quatsch. Man braucht sich in Köln nur an den Brückenkopf der Hochenzollernbrücke stellen. Dort stehen sie Schlange mit Top-Equipment um das gleiche Bild zu machen.
    Natürlich gibt es immer noch Fotografen, die etwas zu sagen haben. Aber das ist, wie aus einem Feuerwehrschlauch trinken. Und es wird immer schlimmer, denn die Anzahl der Bilder steigt nicht linear, sondern fast exponentiell. Es nützt auch nicht jeden einzelnen in die Verantwortung zu nehmen, denn das ist praktisch unmöglich.
    Passend dazu dieses Video:

    Und dieser Blog:
    https://www.nzz.ch/feuilleton/das-ende-einer-kunstgattung-die-fotografie-versinkt-im-massengrab-ld.1310767

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    1. Und? Machst Du jetzt deinen Fotoblog dicht, wirfst deine Kamera weg und feierst das Ende der Fotografie…? „Natürlich gibt es immer noch Fotografen, die etwas zu sagen haben.“ Da ist ja schon die richtige Antwort im Text drin.

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      1. Ich mache meinen Blog nicht dicht. Ich mache mir aber auch keine Illusionen über die Relevanz meiner Arbeit. Ein paar Menschen schauen sich das wohl hin und wieder mal an, aber „die Welt verändern“ werde ich damit nicht.
        Das ist aber auch nicht mein Ziel, sonst hätte ich das ganz anders aufgezogen oder hätte direkt ein anders Medium gewählt.

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  5. Ja, ich stimme Dir in einigen Punkten zu, denn ich habe ja bereits selbst die Unmengen an bedeutungslosen Fotos bemängelt. Trotzdem finde ich den Grundton in dem Artikel falsch. Und wenn Du nicht jeden einzelnen zur Verantwortung ziehen willst, wen denn dann? Ich traue jedem von uns so viel Eigenverantwortung zu – auch beim Fotokonsum. Auch, wenn Fotografie ein Massenphänomen ist, hat sie noch Relevanz. Nicht jede Fotografie, aber die Fotografie an sich schon. Der Fotograf im Video sagt ja so schön, dass wir im Grunde total übersättigt sind und es von allem genug gibt (nicht nur Fotos, sondern auch andere Künste). Aber trotzdem ist das für mich kein Grund mit meiner Fotografie aufzuhören, sondern nur Anreiz bzw. Aufforderung bewusster und langsamer zu fotografieren. Etwas schaffen, dass zählt und nicht für den Bruchteil einer Sekunde angesehen wird und dann wieder verschwindet.Das kommt im Video besser rüber.

    Das Video ist prima – danke. Kannst Du mir noch den Youtube Kanal sagen bzw. mitteilen, welcher Fotograf das ist. Zu Deinem 2. Link: hast Du Dich da vertan? Du hast genau den Artikel verlinkt, auf den sich mein Blogpost bezieht!? Oder meintest Du den tatsächlich?

    Gruß, Annett

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    1. Es geht nicht darum mit der Fotografie aufzuhören. Es geht nur darum, dass selbst wenn es relevante Werke gibt, diese einfach in der Masse untergehen. Man kann da jeden in die Verantwortung nehmen, wen man will, das wird nur nichts ändern. Den meisten Menschen, die heutzutage fotografieren, ist das völlig egal. Man kann sich höchstens selbst in die Verantwortung nehmen und sich selbst dafür entscheiden gegen den Strom zu schwimmen. Auch wenn das bedeutet, dass man eben in der Masse untergeht. Die Relevanz ist dann gegeben, allerdings sehr gering, da nur für sich selbst und ggf. eine kleine Anzahl von Followern.

      Ups, Copy&Pase-Fehler. Hier der richtige Link (das sind mehrere Beiträge inkl. Kommentare):
      https://photosubversive.wordpress.com/2014/12/17/gegen-die-kommerzielle-verblodung-der-fotografie/

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      1. Das drückt es besser aus – danke: jeder muss sich selbst in die Verantwortung. Das gilt ja nicht nur für die Fotografie! Darüber, Fotos mit Relevanz zu schaffen und was das für mich bedeutet, denke ich intensivst nach, seit ich das Video gesehen habe, dass Du mir verlinkt hast.

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  6. Wahre Worte. Danke dafür! Es wurde ja im TExt und in den Kommentaren so gut wie alles darüber geschrieben… Ich hänge gerade sehr intensiv an „Masters of photography“, eine Serie auf Sky Arts… Da wird Achtsamkeit und Kampf gegen das Massengrab wundervoll dargestellt und man kann ne ganze Menge mitnehmen… Passt daher gerade ganz perfekt in meine Gedankengänge… Schön das Du das Thema ansprichst und aufmerksam machst…

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